Ansprache Prof. Ott

 

Zum 14. Mai 1995

Dies ist ein Tag der Freude, des Dankes und des Gedenkens. Freude und Dank und das erinnernde Gedenken möchte ich im Namen der großen, weit verzweigten Verwandtschaft an diesem gottgeweihten Ort zum Ausdruck bringen. Für Hermann war es ohne Frage, diese Kapelle dem heiligen Kilian zu weihen, dem sehr geliebten Apostel aller Franken, von dem wir eigentlich nicht viel wissen, als dieses: er hat als irischer Bischof mit wenigstens zwei Gefährten, nämlich Totnan und Kolonat das Evangelium gepredigt und ist wegen seiner Lehre um das Jahr 689 ermordet worden. Aber wir kennen die Spiritualität und die hohe Bildung dieser altirischen Mönche und Geistlichen. Alles steht im Zentrum der Bibel, aufgebaut auf dem Alten und dem Neuen Testament. Das Herrenwort ist für die frühe irische Kirche zuerst das "Wort vom Kreuz" -und von diesem Herrenwort rührt die radikale Nachfolge Christi bis hin zur dauernden Trennung von Familie, Stamm und Heimat. Diese radikale Christus-Nachfolge verwirklichten die irischen Missionare, zu denen auch Kilian gehörte, in der peregrinatio, in der Pilgerschaft. Sie gingen um Christi Willen in die Fremde, gleichsam ins Exil, alle Brücken hinter sich abbrechend, die Schiffe verbrennend. Sie hatten sich in einem unbändigen Gottvertrauen in die Hand des allmächtigen Gottes geworfen, der überall herrscht. Und die Frohbotschaft dieses Gottes zu verkünden, das Heil zu säen auf widrigem Feld, auf steinigem Acker, unter ständiger Bedrohung, auch im Blick auf das mögliche Martyrium.

"Laß uns sterben für das Leben, denn das Leben selbst ist für uns Sterbliche gestorben", formulierte ein anderer irischer Missionar, der heilige Kolumban, der im Süden, in den Vogesen und in der Schweiz gewirkt hat, wenig vor der Zeit des Kilian.

Jährlich, am 8. Juli, feiern wir das Fest des heiligen Kilian. Seit Jahrhunderten wallfahrten die Franken, die Diözesanen von Würzburg zur Stadt des heiligen Kilian; es geriet dieser Tag auch zu einem Volksfest -Kiliani. Und im hohen Dom zu Würzburg sangen und singen die Pilger:

"Wir rufen an den teuren Mann -Sankt Kilian:

Sankt Kolonat und Sankt Totnan! Dich loben, dir danken deine

Kinder in Franken, Sankt Kilian!"

 

Und es gibt ein altes Bruderschaftslied, das auch heute noch während der Wallfahrt erklingt:

"Laßt aufs Kreuz uns schauen und den, der's gebracht,

unsern fränk'schen Gauen in des Irrtums Nacht!

Bitt' für uns, Sankt Kilian! Zeige uns des Kreuzes Bahn! "

Die letzte Strophe dieses Liedes lautet: "Haben wir geendet unsern Lebenslauf,

im Kreuzesdienst vollendet, Herr, dann nimm' uns auf!

Nimm uns auf wie Kilian, der uns zeigte deine Bahn..."

 

Am 10. Juli 1907, in der Oktav von Kiliani, kam drunten in Königshofen Apollonia Träger- geborene Sambeth, aus Haagen gebürtig, mit ihrem siebten Kind nieder. Sie starb am 20. Juli im Kindbettfieber, 42 Jahre alt, und wurde am 22. Juli in Königshofen zu Grabe getragen. Wir können nur ganz entfernt erahnen, unter welch körperlichen und seelischen Schmerzen diese Mutter ihrem Ende entgegenging. Welche Sorgen um die Kinder ihr auf der Seele brannten! Um das Neugeborene, die Sophie, um die zweijährige Emma - meine Mutter -, um den vierjährigen Buben Karl und die anderen die Berta, die Luise, die Anna. Ihre Marie, die l5jährige und älteste, gottlob, war behütet im großelterlichen Haus der Sambeth hier in Haagen. Vielleicht - eigentlich bin ich mir sicher -schied sie aus der Welt, in der letzten Phase, im höchsten Fieber, als die Blutbahnen schon tödlich vergiftet waren, im Vertrauen auf die Gottesmutter, die Patronin der Franken, deren Gnadenbild droben auf der Bergkirche steht und zu der wir mit dem Text von Pater Willibald flehen: "Schmerzensmutter, Magd des Herrn/ sei in Leidensnacht uns Stern./ Spende Hilfe, Trost von Gott,/ Gib uns Kraft in jeder Not! "

Apollonia aus der Sippe der Sambeth, früh aus dieser Welt abberufen, wurde zur Stamm- Mutter von Vielen. Und wir alle sind eingebunden in die Sippe der Sambeth. Angesichts des trauervollen Loses und des unsäglichen Jammers erwies sich die Kraft dieser Familie Sambeth, die hilfreich zur Seite stand: unserer Großmutter Apollonia Schwester, die Ursula Sambeth, nahm Mutterstelle an und zog die Kinder groß, selbstlos, unsere Großtante, die 'Dout'. Und Haagen wurde für uns später so etwas wie eine zweite Heimat, wenn ich meine eigene frühe Erinnerung beschwöre: an der Mutter Hand der erste Gang hinauf zur Bergkirche, vielleicht gerade 5jährig geworden. Die Herzlichkeit der verwandtschaftlichen Aufnahme bei den Sambeths und vor allem bei den Silberzahns, wo Gleichaltrige waren und der Herrmann schon in der Oberstufe des Gymnasiums in Mergentheim war. Welche Erinnerungen an die Tante Marie, die immer unsere Mutter besuchte, wenn wieder ein- Geschwister geboren war -und wir sind eine stattliche Schar -Ach, welcher Schmerz, als sie so früh aus dieser Welt gehen mußte.

Als gläubige Christen wissen wir, daß dieses Leben nur Durchgang ist hin zum ewigen Leben, in das wir alle eingehen werden. Und der tiefste Sinn dieser Kapellenstiftung, für die wir so dankbar sein dürfen, ist die Zeichenhaftigkeit des christlichen Gedenkens - ein Haus der Stille, der Besinnung, des Gebetes wird diese Stätte sein, ein Haus der Begegnung, in den schlichten, aber klassischen Formen vom Architekten, unserem lieben Cousin Walter, entworfen und fachgerecht aufgeführt zusammen mit all den vielen fachmännischen Helfern, so wunderbar gelegen an einem Platz mit dem belebenden Wasser, gesäumt mit den köstlichen Blumen und Sträuchern, mit dem Rosenstock, den Hubert aus dem elterlichen Vorgarten herübergeholt hat - er ist mehr als 60 Jahre alt. Und die kleine Glocke wird die Tagzeiten verkünden und das stille Tal beleben.

Diese Kapelle wird den Weilerort Haagen erhöhen und zur Sammlung einladen. Für uns Verwandte ist der Symbolgehalt von besonderer Bedeutung, all diese Zeichen, die zum Gedenken an die Toten und an die Lebenden hinführen. Diese Gebetsstätte wird uns auch ein Stück Heimat werden - auch in dem Verständnis, wie ich es anderwärts immer wieder vorgetragen habe, daß wir, wo auch immer, uns zurücksehnen in die fränkische Heimat, in diese 'Haamed' - als Pilgernde. Vielleicht auch in dem Sinne wie der Mergentheimer Hans Heinrich Ehrler es in die Verse gegossen hat:

"0 Heimat!

O Heimat, wir sind alle dein,

So weit und fremd wir gehen;

du hast uns schon im Kinderschlaf

ins Blut hineingesehen.

Kein Weg ist, den wir heimlich nicht

nach einem Heimweg fragen.

Wer ganz verwandert, wird im Traum

zu dir zurückgetragen."

 

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